Kapitel 28
10. Dezember
„Wie wäre es, wenn man eine direkte Verknüpfung zwischen Menschen herstellen könnte – ohne die Umwege der verbalen oder schriftlichen Kommunikation, völlig unmittelbar und praktisch von Mensch zu Mensch?“
Die Frage des Direktors war klar formuliert. Er blickte erwartungsvoll in den Raum, und postwendend meldete sich der Geschäftsführer zu Wort.
„Sehen Sie, das ist unsere Aufgabe. Dazu betreiben wir ja dieses Projekt. Wir beziehen natürlich auch die jüngeren Ergebnisse der Forschungen und aktuelle technologische Entwicklungen hier mit ein.“
„Können Sie uns hierzu ein Beispiel geben? Ich meine, so eine Art Mindmap – wo stehen wir gerade? Was ist denn technisch schon machbar? Woran arbeitet die Wissenschaft?“
„Es ist so“, gab der Geschäftsführer zu Protokoll „unser als Experiment tituliertes Programm ist ja ergebnisoffen. Natürlich gibt es Erwartungshaltungen, aber diese sollen für den Moment außer Acht gelassen werden. Wie auch immer die Sitzungen unseres Filmvorführers mit den Probanden verlaufen – die Ergebnisse unserer Studie dienen ja Ihrer Arbeit, Herr Direktor, als… nun, ich will nicht anmaßend sein und das Wort ‚Grundlage‘ verwenden, so aber doch als wichtiger Baustein für Ihre…“
„Danke, aber diese Zusammenhänge sind uns bekannt. Bitte kommen Sie zum Punkt und beantworten Sie meine Frage ohne Umschweife.“
„Oh..ääh…ja, natürlich Herr Direktor. Ein schönes Beispiel aus dem Bereich der Populärwissenschaft ist der Fall des Ian Burkhart: Bei einem Tauchunfall war dem damals 19jährigen das Rückenmark auf Höhe des fünften und sechsten Halswirbels durchtrennt worden. Der dadurch dann Querschnittsgelähmte konnte weder Hände noch Füße bewegen, doch haben Forscher ihm einen Computerchip, kleiner als eine Erbse, an die Stelle im Gehirn implantiert, die für die Steuerung von Handbewegungen zuständig ist. Dieser Chip nun sendet Signale an einen Computer, der wiederum die Steuerung einer mit 130 Sensoren bestückten Manschette an Burkharts rechtem Unterarm übernimmt. Es ist den Forschern mittels Computer gelungen, Burkharts Arm so weit zu kontrollieren, dass er die Finger öffnen und schließen kann und beispielsweise solche Vorgänge wie das Durchziehen einer Kreditkarte durch ein Lesegerät selbständig ausführen kann. Das bedeutet: Der eigentlich unterbrochene Weg vom Gehirn – dem Auslöser des Prozesses – zur Hand – dem Ausführenden des Befehls – konnte über den Umweg des Computers wiederhergestellt werden. Also: Gedanke – Impuls – Handlung.“
„Das ist fantastisch!“ entfuhr es einem der Zuhörenden, und auch die meisten anderen der im Raum anwesenden nickten zustimmend und gaben sich beeindruckt.
„Und das Beste daran“ fuhr der Geschäftsführer fort, „ist die Feststellung, dass ich Ihnen hiermit nur die Spitze des Eisberges beschreibe. Die von mir geschilderte Studie ist mittlerweile schon wieder einige Zeit her und wurde zunächst im Wissenschaftsmagazin ‚Nature‘ publiziert; mittlerweile haben selbst triviale Medien wie Spiegel Online darüber berichtet, obwohl solche Plattformen ja nicht unbedingt zur Avantgarde der Informationskultur gezählt werden.“
„Nun, was denken Sie, bedeutet das für ein Projekt wie das unsere?“ hakte der Direktor beim Geschäftsführer nach.
„Ich denke, Herr Direktor, dass solche Forschungsarbeit wie die von mir beschriebene ja auch dazu dient, das gewöhnliche Volk für solche Themen zu sensibilisieren. Wer sich ein wenig für Medizin interessiert, kennt ja solche Dinge wie das Locked In Syndrom: Der Körper ist gelähmt, aber der Geist ist hellwach. Darüber hinaus haben Bücher wie ‚Schmetterling und Taucherglocke‘ des französischen Autors Jean-Dominique Bauby den interessierteren unter unseren Zeitgenossen auf einfache und verständliche Art und Weise vor Augen geführt, dass wir unser altgewohntes Weltbild überwinden müssen und das allseits bekannte Schopenhauer’sche Leib-Seele-Problem erweitern müssen zu etwas, das meines Wissens nach bislang noch keinen Namen hat. Daher schlage ich vor, es als Arbeitstitel mit ‚Leib-Seele-Maschine-Problem‘ zu titulieren.“
Applaus brach spontan aus in der Runde, und selbst der sonst so gestrenge Direktor konnte sich ein anerkennendes Nicken nicht verkneifen. „Ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen…“ Nachdem es im Anschluss an diesen für Wissenschaftler beinahe schon emotionalen Moment wieder still im Auditorium gewordenen war, fuhr der Direktor fort. „Ich danke Ihnen für Ihre Ausführungen, möchte jedoch hinzufügen, diese Erkenntnisse lediglich als Einführung zu betrachten – als Einführung in unsere Arbeit. Heute, am 10. Dezember, dem Todestag Alfred Nobels, dem Tag der Vergabe der Nobelpreise, möchte ich Sie dazu ermutigen, all Ihre Kraft und all Ihre Fähigkeiten in unser Projekt zu integrieren, damit unsere – wie ich meine – bahnbrechenden Resultate eines Tages auch mit den größten wissenschaftlichen Fortschritten der Menschheit in einem Atemzug genannt werden können.“