Kapitel 48

30. Dezember

‚WICHTIG – An alle Beteiligten: Unser Projekt geht jetzt in die entscheidende Phase. Ich bitte Sie daher alle um 12.00 Uhr in den großen Saal zum Meeting.‘

Die E-Mail des Direktors war an alle adressiert, und Fräulein Henker hatte auch für alle entsprechende ToDos angelegt. Der Vormittag wurde dazu verwendet, innerhalb der einzelnen Arbeitsgruppen noch letzte Vorarbeiten für das Meeting abzuschließen, damit die Ergebnisse dann um zwölf Uhr für alle im Projekt Involvierten verfügbar wären. Power-Point-Präsentationen wurden erstellt, Diagramme wurden angefertigt, Schaubilder wurden konstruiert und Statistiken wurden tabellarisch aufbereitet. Alle wussten um die Bedeutung des Meetings. Das ehrgeizige Ziel, die Grenzen zwischen Neurobiologie und Computertechnik zu überschreiten, lag in greifbarer Nähe.

Die meisten Mitarbeiter hatten sich bereits kurz vor 12 Uhr im großen Saal eingefunden, und es herrschte eine gespannte Neugier. Nachdem alle ihre Plätze eingenommen hatten, schritt der Geschäftsführer nach vorne ans Rednerpult: „Werte Kolleginnen und Kollegen, die letzten Wochen waren sehr ereignisreich, und besonders in den letzten Tagen haben wir noch einmal alles gegeben, um unserem Projekt zum verdienten Erfolg zu verhelfen. Die praktische Adaption der von mir als Leib-Seele-Maschine-Problem titulierten Aufgabenstellung steht kurz vor der Vollendung: Eine direkte mentale Verbindung von einer Person zur anderen – ohne Hardware wie Elektroden, Sonden, RFID-Chips oder ähnlichem prähistorischen Tand.“ Die Anwesenden begannen zu lachen, denn was der Geschäftsführer hier als prähistorisch bezeichnete, war in mancherlei Hinsicht noch bis vor kurzem ’state of the art‘. Dann fuhr er fort: „So weit, so gut, so bekannt. Über die darüber hinaus reichenden Anwendungsoptionen wird Sie nun unser Direktor informieren.“ Begleitet von anerkennendem Applaus nahm der Geschäftsführer wieder auf dem für ihn reservierten Stuhl in der ersten Reihe Platz. Nun trat der Direktor ans Rednerpult.

„Danke, Herr Geschäftsführer. Ja – so weit, so gut, so bekannt. Wo aber ist nun das Neue, das Bahnbrechende, will sagen: der Quantensprung? Nun, hier ist unser Vorgehen.“ Es wurde mucksmäuschenstill im Saal, und der Direktor wurde konkret: „Mit der parallelen Einbindung unserer eigens hierfür konzipierten Software sollte es bereits in Kürze möglich sein, alle rationalen und emotionalen Bewusstseinsinhalte zwischen Individuen auszutauschen. Und nicht nur das: Wir können mit der Software auch direkt auf das Bewusstsein als solchem zugreifen.“ Nun ging ein Raunen durch das Gros der versammelten Wissenschaftler, und der Direktor steigerte die Erwartungshaltungen noch, indem er das bis vor kurzem noch als utopisch Erachtete nun in den Bereich des zum Greifen Nahen rückte: „Unangenehme Empfindungen wie Ängste, Schmerzen oder Depressionen können durch die Software zunächst registriert, dann kontrolliert, im weiteren Verlauf dann optimiert und schließlich ganz substituiert werden. Und das bei allen Menschen. Direkt. In einer Geschwindigkeit, die dem Betreffenden den Eindruck vermittelt, es geschähe alles in Echtzeit.“ Applaus brandete auf, und der Direktor hielt kurz inne. „Für Sie muss das alles fantastisch klingen, denn jeder von Ihnen ist ein hoch qualifizierter Spezialist auf seinem Fachgebiet. Unsere Aufgabe im administrativen Bereich liegt darin, bis zum Ende des Jahres diese einzelnen Teile eines riesigen Puzzles zusammenzuführen – ein Puzzle, dass es in dieser Form der Verschmelzung von Mensch und Technik so bisher nicht gab. Dieser Extropianismus bildet eine Sonderform des Transhumanismus, denn wir werden mit unserer Arbeit die Evolution proaktiv beschleunigen.

Wir haben dafür einen Probanden gefunden, der als Idealfall des Prototyps betrachtet werden kann: er ist ebenso philosophisch veranlagt wie humorvoll, er ist eloquent und beherrscht die kausal-logische Denkweise ebenso wie das Abstrahieren und das Paradoxe. Er ist eigentlich alles in allem ein ziemlich durchschnittlicher Typ, nur mit dem Unterschied, dass er im Gegensatz zu anderen durchschnittlichen Typen sich seiner unbegrenzten Möglichkeiten bewusst ist. Und das Beste: er weiß, dass er nicht mehr lange zu leben hat, bleibt angesichts dessen dennoch meistens sehr gelassen und hat freundlicherweise einen großen Teil seiner wichtigsten Erinnerungen, Empfindungen und Reflexionen aufgeschrieben. Kurzum: sein ganzes Leben liegt in diesem Buch.

Im Institut des Herrn Geschäftsführers hatten wir hierfür zunächst eine Arbeitsgruppe als Vorbereitung für unser Projekt gebildet, die mit der Filmversion des Buches im Rahmen einer kollektiven therapeutischen Maßnahme die Essenz herausgearbeitet hat – ein ‚Best of‘, wenn Sie so wollen. Die Synchronisation der jeweiligen Ebenen Leben / Buch / Film / Software hat bisweilen kleinere Schwierigkeiten verursacht, aber gut … es ist ja noch eine recht neue Technologie, und unsere IT-Abteilung hat erst gestern noch die letzten, will sagen, Kinderkrankheiten diagnostiziert – nicht zuletzt dank eines Hinweises, den ich bereits am 7. Dezember gegeben habe. Dieser Fehler hat uns einige Zeit beschäftigt, und Frau Dr. Starr und Professor Feder haben mit ihren Teams unermüdlich daran gearbeitet, diesen Fehler zu finden. Wie dem auch sei – heute ist der Tag, an dem wir die Ergebnisse der beiden Arbeitsgruppen vergleichen möchten, um dann das hoffentlich reibungslos funktionierende Programm in Betrieb zu nehmen. Damit wird etwas bisher Undenkbares dann Realität sein: Wir werden das Bewusstsein eines jeden einzelnen Menschen steuern können – und es sind wir hier, Sie und ich, jeder einzelne in diesem Raum, der diesem fantastischen Projekt zum Erfolg verholfen haben wird. Ich danke Ihnen allen.“

Tosender Applaus brauste auf, und der sichtlich ergriffene Direktor verbeugte sich lang und anhaltend, als wäre es sein eigenes und alleiniges Verdienst, bis hierher gekommen zu sein. Als der Applaus in rhythmisches Klatschen überging und die anwesenden Zuhörer noch zusätzlich im gleichen Takt mit den Füßen auf den Boden stampften, hatte die Stimmung im Saal das Ausmaß eines Rock-Konzertes erreicht. Der Direktor war immer noch mit seiner Verbeugung beschäftigt, als der Geschäftsführer nach vorne trat und dem begeisterten Publikum mit erhobenen Händen und breitem Grinsen zu bedeuten gab, dass er nun das Wort ergreifen möchte. Der Applaus ebbte langsam ab und die Anwesenden hatten wieder Ihre Sitzplätze eingenommen, als der Geschäftsführer seine Ansprache begann:

„Danke, Herr Direktor, und danke auch nochmals an die Kollegin Bytes, die die wochenlang schwelende Aufgabe gestern gelöst hat. Wir haben diese neue Situation dann umgehend in Dr. Starrs Team besprochen und die Information mit dem Datumsfehler hinsichtlich des Ablebens von Mister Burgess unverzüglich an das Team von Professor Feder weitergegeben, damit wir das nachfolgende Vorgehen abstimmen und den nun bevorstehenden letzten Schritt dann am besten gemeinsam gehen können. Ich bitte nun Frau Dr. Starr nach vorne, damit sie uns ihre Überlegungen erläutert, wie wir mit der Erkenntnis des gefundenen Fehlers weiter verfahren sollten.“

„Danke, Herr Geschäftsführer. Um es kurz zu machen: Wir haben gestern noch mehrere Varianten durchexerziert, was eine nachträgliche Korrektur des Datumsfehlers alles nach sich ziehen würde: Wir müssten in der Historie für den 25.11. einen Teil des Inhaltes streichen, diesen Teil dann auf den 22.11. transferieren, wodurch aber der bereits am 22.11. vorhandene Content wiederum verändert würde. Auch einen kompletten Austausch des Inhaltes vom 22.11. haben wir in Erwägung gezogen, aber das zöge dann noch weitreichendere Konsequenzen nach sich. Wir müssen daher nach eingehender Analyse konstatieren, dass keine dieser Alternativen empfehlenswert ist, da mit der Lösung eines Problems sich automatisch mehrere neue Probleme auftun, deren Lösung dann wiederum noch mehr neue Probleme aufwerfen und so weiter und so fort. Was dann geschähe, kann also mit dem viel zitierten Öffnen der ‚Büchse der Pandora‘ verglichen werden. Ich rate daher dringend von einer Korrektur ab.“

„Danke für Ihre eindeutige Aussage, Frau Dr. Starr. Hören wir uns nun die Überlegungen des zweiten Teams an. Nun, Herr Professor Feder, was empfehlen Sie gemäß den Vorgaben als weitere Vorgehensweise?“ Der so Angesprochene erhob sich von seinem Platz, ging nach vorne und schaltete den Beamer ein. Auf der Leinwand war der Querschnitt durch ein menschliches Hirn schematisch dargestellt. Dann begann Professor Feder seine Ansprache.

„Nach wissenschaftlicher Auffassung gibt es keinen Anlass zu der Annahme, dass ein als falsch erkannter Teilaspekt einer komplexen Situation für den weiteren Verlauf beibehalten werden kann, ohne das Ergebnis in seiner Gesamtheit negativ zu beeinflussen. Wir haben daher eine ganz klare Tendenz zu der Empfehlung, dass das falsche Datum korrigiert werden sollte.“ Ein Raunen ging durch den Saal, und der Direktor schaltete sich in den Vortrag ein.

„Danke, Herr Professor Feder. Ich schätze Ihre fachliche Kompetenz sehr, und ich bin mir sicher, dass Sie doch alle Ihren Berechnungen zugrunde liegenden Parameter mit Ihrem Team sorgfältig geprüft haben?“ Professor Feder nickte. Dann führt er seine Überlegungen weiter aus:

„Ich selbst bin Neurobiologe, und anhand des aktuellen Wissensstandes über die Struktur und Arbeitsweise des menschlichen Gehirns haben wir zur Kenntnis zu nehmen, dass das Gehirn eben nicht zentral gesteuert wird, sondern auftretende mentale Prozesse an verschiedenen Stellen im Gehirn gleichzeitig bearbeitet werden. Es ist das Prinzip der fortlaufenden Integration, das hier wirkt – und nicht etwa Hierarchie. Das bedeutet: Haben Sie nun eine Fehlfunktion in einem Bereich des Gehirns aufgrund einer falsch abgespeicherten Information im  entorhinalen Cortex des Temporallappens…“ er deutete mit dem Laserpointer auf eine Stelle der Leinwand „…oder hier im parahippocampalen Bereich…“ er zielte mit dem Laserpointer etwas weiter seitlich „… oder etwa hier im perirhinalen Cortex…“ der Laserpointer war nun etwas unterhalb auf der Leinwand bewegt worden „dann potenzieren Sie damit die Wahrscheinlichkeit, dass diese Fehlfunktion in mehrere Prozesse integriert wird.“ Er blickte in das Rund der Anwesenden. Die meisten starrten ihn fragend an. Die meisten – aber eben nicht alle: die Doktorandin nickte zustimmend zu den Ausführungen ihres Teamleiters. „Gut, wir sind ja nicht nur Neurobiologen hier. Ich werde daher versuchen, es Ihnen anhand eines alltäglichen Vorgangs zu erläutern – so wie Frau Dr. Starr mit Ihrem anschaulichen Beispiel der Büchse der Pandora. Also…“ er holte tief Luft und verlangsamte seine Sprachgeschwindigkeit.
„Also, stellen Sie sich vor, Sie hätten eine Kiste mit schönen, knackigen Äpfeln. Wenn Sie diese Äpfel richtig lagern – also dunkel, kühl und trocken – dann können Sie dieses Obst monatelang aufbewahren, und selbst nach einem halben Jahr schmeckt so ein Apfel aus dieser Kiste noch wie am ersten Tag.
Wäre nun aber auch nur ein verdorbener Apfel beim Einlagern in dieser Kiste enthalten gewesen, dann würde dieser verdorbene Apfel binnen kürzester Zeit dafür sorgen, dass noch mehr Äpfel in Mitleidenschaft gezogen würden. Sie müssen diesen verdorbenen Apfel also baldmöglichst aus der Kiste entfernen, oder noch besser: der verdorbene Apfel sollte erst gar nicht in die Kiste gelangen, denn je öfter Sie in die Kiste greifen, um sich einen Apfel zu nehmen, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit, einen verdorbenen Apfel zu erwischen. Das heißt also, um auf unsere eigentliche Frage zurückzukommen: damit der vorhandene Fehler nicht weitere Fehler generiert, die dann wiederum nochmals weitere Fehler verursachen und so weiter und so fort, müssen wir dieses falsche Datum auf jeden Fall korrigieren.“ Als Professor Feder seine Ausführungen beendet hatte, schallte es aus den Reihen „Bravo“, denn die Doktorandin war begeistert vom ebenso fachlich anspruchsvollen wie allgemein verständlichen Vortrag ihres Teamleiters. Dieser beendete seine Ausführungen. „Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit.“ Professor Feder schaltete den Beamer aus und ging zurück an seinen Platz. Nun kam der Geschäftsführer wieder nach vorne, und er versuchte das von den Teamleitern Gehörte in kompakter Form zusammen zu fassen.

„Ja, ääähm, also, ich subsumiere:

„Das Team von Frau Dr. Starr kommt zu dem Ergebnis, dass wir den Fehler auf keinen Fall korrigieren dürfen, weil sonst unabsehbare negative Folgen für unser Projekt drohen.

Das Team von Herrn Professor Feder kommt zu dem Ergebnis, dass wir den Fehler auf jeden Fall korrigieren müssen, weil sonst unabsehbare negative Folgen für unser Projekt drohen.“

Er machte eine kleine Zäsur, um das Gesagte nochmals kurz Revue passieren zu lassen. Dann:

„Wir alle kennen das Prinzip der Parsimonie in der Anwendung der Wissenschaftstheorie und der wissenschaftlichen Methodik. Vereinfacht ausgedrückt besagt es:
1. Von mehreren hinreichenden möglichen Erklärungen für ein und denselben Sachverhalt ist die einfachste Theorie allen anderen vorzuziehen.
2. Eine Theorie ist einfach, wenn sie möglichst wenige Variablen und Hypothesen enthält und wenn diese in klaren logischen Beziehungen zueinanderstehen, aus denen der zu erklärende Sachverhalt logisch erfolgt.“

Der Geschäftsführer hielt kurz inne. Er runzelte die Stirn, schaute auf sein Manuskript und setzte dann erneut an:
„Die beiden Teamleiter haben ihre… ääähm … Argumente sehr gut dargelegt, und man ist geneigt, die Lösungsansätze beider im gleichen Maße zu akzeptieren, obwohl die Lösungsvorschläge völlig… widersprüchlich sind …“
Nochmals unterbrach er seine Rede. Man konnte den Eindruck haben, dass er sich nach Hilfe umsah, doch es kam keine Hilfe. Dann fuhr er fort, langsam und bedächtig: „Auf den ersten Blick erscheint uns das vollkommen paradox, doch bei genauerer Betrachtung stellen wir fest: das… ist… das ist vollkommen paradox… Wir haben auf ein und dieselbe Frage zwei richtige Antworten, die sich jedoch gegenseitig ausschließen.“ Der Geschäftsführer hielt erneut inne. Dann sprach er leise, beinahe flüsternd und unhörbar: „Aber … das ist ja eine Katastrophe!“

Für einen Moment hätte man den Eindruck gewinnen können, dass die Zeit stehen geblieben sei. Just in diesem Moment sprang der Direktor auf. Er winkte den Geschäftsführer zur Seite und trat stattdessen selbst nach vorne. Mit einem aufgesetzten Lächeln versuchte er, der unwirklich scheinenden Situation einen Hauch von Normalität zu verleihen. „Das Meeting ist beendet. Bitte begeben Sie sich alle wieder an Ihre Arbeitsplätze und… äääähm … und machen Sie weiter.“

Die Mitarbeiter taten, wie ihnen geheißen war. Stumm und teilnahmslos verließen sie den großen Saal. Auch der Direktor und ein Großteil der Administration hatten den Raum bereits verlassen, als der Filmvorführer sich in Richtung des Geschäftsführers bewegte, der gerade seine Unterlagen in die Aktentasche packte.

„Herr Geschäftsführer, darf ich Sie noch etwas fragen?“

„Aber Sie fragen doch bereits, Herr Filmvorführer.“ 

„Mir kommt das alles sehr seltsam vor. Wissen Sie, was ich so langsam glaube: der Protagonist hat keinen unbeabsichtigten Fehler gemacht.“

„Natürlich hat er das. Sie haben es doch selbst gesehen und gehört, oder?“

„Jaja, ich habe gesehen, dass er einen Fehler gemacht hat. Nur kann ich mir kaum vorstellen, dass dies unbeabsichtigt geschehen ist.“ Der Geschäftsführer stoppte jäh das Einpacken seiner Dokumente und hielt inne. Mit einem Runzeln auf der Stirn fragte er nach.

„Wie bitte?“

„Nun, ich denke, unser Hobby-Schriftsteller hat den Burgess-Fehler mit Bedacht gemacht und uns dadurch ganz bewusst auf die falsche Fährte gelockt.“ Der Geschäftsführer sah sein Gegenüber verdutzt an. Dann beugte er sich ganz nahe zum Filmvorführer hinüber, bis sich ihre Köpfe beinahe berührten. Mit verhaltener Stimme fragte der Geschäftsführer:

„Wie meinen Sie das?“

„Naja, es ist doch so …“ auch der Filmvorführer flüsterte nun nur noch ganz leise. „ … unser Protagonist hat seinen Freund Effm beim Telefonat am 25.11. mit seinen Hinweisen doch absichtlich so lange in die von ihm  gewünschte Richtung geschubst, bis dieser gar nicht mehr anders konnte, als Anthony Burgess zu sagen!“

„Meinen Sie?“

„Ja, Herr Geschäftsführer, das meine ich. Überlegen Sie doch mal, was der Protagonist vorgegeben hat: ‚Schriftsteller‘, ‚Brite‘, ‚Aus Manchester, um genau zu sein‘. Und sein Freund, der ja Journalist ist und vielleicht von Berufs wegen den ‚Spiegel‘ lesen musste, legte dann nach: ‚Ein Mann, der mehr als 6 Sprachen beherrscht hat?‘ und ‚Sein bekanntestes Werk ist Clockwork Orange?‘. Auf wen bitte soll denn so eine Beschreibung sonst noch passen? Natürlich ist das Anthony Burgess!“

„Hmmm … es klingt ja tollkühn … aber … aber Sie könnten recht haben: Da steckt vielleicht Absicht dahinter!“

„Natürlich! Und dass er das mit einem Freund gemeinsam macht, der auch ein sehr gutes Zahlen- und Datumsgedächtnis hat, ist doch umso mehr die Bestätigung unserer Hypothese!“

„Ja genau! ……. genau ……. genau, Herr Filmvorführer …. Aber…“

„Was – aber?“

„Aber was genau ist denn unsere Hypothese?“

„Na, was wohl, Herr Geschäftsführer: er hat dieses falsche Datum absichtlich eingebaut! Und wissen Sie warum? Er ist subversiv!“

„Genau! Subversiv! … und sein Freund, der ist auch subversiv! …. aber …. aber wissen Sie was?“

„Was denn?“

„Warum sollte der Protagonist so etwas tun? Ich meine, subversiv, ja – von mir aus. Das ist jedoch nur eine Facette seines Charakters. Was aber könnte der eigentliche Grund sein?“

„Ich weiß leider nicht, worauf Sie hinauswollen.“

„Der Grund. Der Anlass. Die Ursache ….. ach je, Herr Filmvorführer … sehen Sie manchmal fern?“

„Nein, ich habe keinen Fernseher.“

„Aber Sie haben doch schon mal einen Krimi gesehen, oder? Schließlich sind Sie ja Filmvorführer.“

„Ja, natürlich. Trotzdem verstehe ich nicht: worauf wollen Sie hinaus?“

„Nun, ich denke, wenn so ein subversives Element einen derart raffinierten Plan durchzieht: warum macht er das? Oder, in der Sprache des Detektivs im Krimi ausgedrückt: was ist sein Motiv?“

„Jetzt verstehe ich … ja, das ist es! Oh nein – wie konnten wir das nur übersehen?“ Der Filmvorführer schlug sich mit der flachen Hand auf die Stirn. „Natürlich! So muss es sein.“ Der Geschäftsführer hingegen blickte den Gesprächspartner fragend an:

„Jetzt… jetzt kann ich Ihnen leider nicht mehr folgen…“

„Na klar. Er hat den Fehler bewusst bei Anthony Burgess eingebaut, weil Burgess angeblich auch mal todkrank gewesen war und dann trotz der eigentlich verheerenden ärztlichen Prognose bezüglich seiner verbleibenden Lebenszeit noch Jahrzehnte lang quietschfidel und munter aktiv war, zig Bücher geschrieben hat und sich seines Lebens erfreute, als hätte es diese scheinbare Fehldiagnose nie gegeben. Und die Idee des Protagonisten vom 20. Dezember, eines Tages Stephen Hawking zu klonen, haut doch in dieselbe Kerbe: Auch Hawking wurde von seinen Ärzten schon aufgegeben, und hat dennoch lange weitergelebt. Und Hawkings Ansichten zu Zeitreisen … es dreht sich irgendwie um das Thema Zeit. Was unser Protagonist da macht, ist …. es ist so etwas wie ein verabredetes Zeichen.“

„Ein … Zeichen? Ein verabredetes Zeichen? Wofür das denn?“

„Für uns, wenn Sie mich fragen.
Für uns alle, die wir uns mit dieser Sache befassen.“